Bürgerentscheide

Was ist ein Bürgerbegehren, ein Bürgerentscheid?

Lissabon-Urteil des Bundesverfassungsgerichts Karlsruhe vom 30.06.2009, Art. 211: “Der Anspruch auf freie und gleiche Teilhabe an der öffentlichen Gewalt ist in der Würde des Menschen verankert …” mehr 

Baden-Württemberg führte 1956 als erstes deutsches Bundesland die Möglichkeit von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden ein. Das ist gut so, denn Diskurs ist wichtig. Er trägt bei zur Stärkung einer politischen Kultur, die trotz Konflikten in der Sache einen fairen gegenseitigen Umgang, Transparenz, Dialog- und Kompromissbereitschaft, den Willen zur Befriedung und den Respekt sowohl vor einer mündigen Bürgerschaft als Souverän wie auch vor gewählten Amtsträgern und geltendem Recht hochhält. In Verbindung mit einer solchen politischen Kultur sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eine wesentliche Bereicherung und funktionale Stärkung unserer freiheitlichen und demokratischen Ordnung.

Ein Bürgerbegehren ist ein verbindlicher Antrag an den Gemeinderat, einen Bürgerentscheid über eine bestimmte Sachfrage durchzuführen. Für ein Bürgerbegehren müssen Unterschriften von mindestens 7 % aller stimmberechtigten  Einwohner*innen der Gemeinde gesammelt werden (das sind in Freiburg ca. 12.000 Unterschriften). Wird diese Anzahl an Unterschriften fristgerecht erreicht und die Sachfrage vom Gemeinderat spätestens zwei Monate danach für zulässig erklärt, so ist das Bürgerbegehren erfolgreich und es schließt sich binnen vier Monaten ein Bürgerentscheid an. Im Unterschied zu einer Wahl, bei der die Wahlbürger*innen einem Kandidaten ihre Stimme geben für eine ganze Legislaturperiode, was einem Blanko-Scheck für alle möglichen Themen während dieser Zeit gleichkommt, stimmen beim Bürgerentscheid die Bürger*innen über eine einzelne bestimmte Sachfrage ab. Ein erfolgreicher Bürgerentscheid (min. 20 % Ja- oder Nein-Stimmen, je nach Fragestellung) hat die gleiche Wirkung wie ein Gemeinderatsbeschluss. Er bindet zu dieser Sachfrage den Gemeinderat für die Dauer von drei Jahren.

Diejenigen, die das Bürgerbegehren in die Wege leiten wollen, müssen die Frage so formulieren, dass ihre Anhänger sie mit Ja beantworten müssen. Hier das relevante Urteil: VG Karlsruhe, Urteil vom 27.05.1992 – 10 K 11494/91:
“Aus § 21 Abs. 6 Satz 2 der Gemeindeordnung ergibt sich der Grundsatz, daß bei einem gegen einen Gemeinderatsbeschluß gerichteten Bürgerbegehren die Abstimmungsfrage beim Bürgerentscheid so zu fassen ist, daß die Befürworter des Bürgerbegehrens mit “Ja” stimmen müssen.”

Ein Bürgerbegehren ist weder etwas Anrüchig-Illegales noch hat es etwas mit Bittstellertum zu tun, sondern es handelt sich dabei um ein in der Gemeindeordnung ausdrücklich vorgesehenes Instrument, damit Bürger ihre Interessen artikulieren können. Weder können jemandem dadurch Nachteile entstehen, noch kann der Gemeinderat das Bürgerbegehren einfach ignorieren, weil der darauf folgende Bürgerentscheid verbindlich ist.

Ist das „Bürgerbeteiligung“? Nein, mit diesem Begriff sind dialogorientierte Verfahren wie z.B. „Runde Tische“, „Zukunftswerkstätten“, „Bürgerforen“, Anhörungen etc. gemeint. Bürger können dabei Ideen und Vorschläge für bestimmte Projekte entwickeln oder einbringen, die endgültige Entscheidung darüber bleibt aber dem Gemeinderat vorbehalten. Insofern sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide keine Formen von Bürgerbeteiligung, sondern vielmehr Formen der direkten Demokratie, weil hier die Entscheidung durch die Bürgerschaft selbst getroffen werden kann.

 

Chronik: Bürgerentscheide in Freiburg

In Freiburg fanden bisher fünf Bürgerentscheide statt. Ein Segen für die Gesamtstadt war der Ausgang des von den Bürger*innen initiierten Entscheids im November 2006: die Stadt Freiburg blieb Eigentümerin der städtischen Wohnungen. Nicht jedem Bürgerentscheid ging, wie jetzt beim Thema Dietenbach, ein Bürgerbegehren voraus: Der Bürgerentscheid um das SC-Stadion wurde vom Gemeinderat selbst initiiert.

Ein Bürgerentscheid ist erfolgreich, wenn er ein Zustimmungsquorum von 20 Prozent erreicht (bis 2005 waren 30 Prozent nötig, bis 2015 waren es 25 Prozent). Das heißt, mindestens 20 Prozent der zur Stimmabgabe bei der Kommunalwahl berechtigten Einwohner*innen müssen die gestellte Frage eindeutig mit Ja oder mit Nein beantworten. Bei einem verfehlten Quorum entscheidet der Gemeinderat erneut.

Hier die Übersicht (in Klammern: Prozent der Wahlberechtigten, die die Mehrheit bildeten / Wahlbeteiligung) (Quelle: Wikipedia)

1988
Bau einer Kultur- und Tagungsstätte (KTS) (28 % Nein / 50 %)
Soll die Kultur- und Tagesstätte gemäß Beschluss des Gemeinderats vom 9. Februar 1988 auf dem Grundstück der Bismarckallee gebaut werden?

1995
Erhalt des Freiburger Flugplatzes (28 % Ja / 39 %)
Sind Sie für den Erhalt des Freiburger Flugplatzes?

1999
Linienführung einer neuen Straßenbahnlinie (15 % Ja / 22 %)
Soll die Stadtbahn Haslach über die Kronenstraße und den Ring (Werder-, Rotteck- und Friedrichring) zum Siegesdenkmal mit Anschluss an die Kaiser-Joseph-Straße gebaut werden (Variante B)?

2006
Erhalt der Stadtbau-Wohnungen im Eigentum der Stadt Freiburg (28 % Ja / 40 %)
Sind Sie dafür, dass die Stadt Freiburg Eigentümerin der Freiburger Stadtbau GmbH und der städtischen Wohnungen bleibt?

2015
Bau eines neuen Stadions für den SC Freiburg im Wolfswinkel (27 % Ja / 47 %)
Sind Sie dafür, dass die Stadt Freiburg den SC Freiburg bei der Realisierung eines Fußballstadions im Wolfswinkel auf Grundlage des vom Gemeinderat befürworteten Organisations-, Investitions- und Finanzierungskonzepts (Anlage 3 zur Gemeinderatsdrucksache G-14/183) unterstützt?

2019
Bau des neuen Stadtteils Dietenbach (60 % Nein / 40 % Ja)
Soll das Dietenbachgebiet unbebaut bleiben?

Dazu mehr Informationen auf der Seite von Mehr Demokratie e. V.

 

 

 

Auswahl erfolgreicher Bürgerentscheide in Baden-Württemberg und Bayern

20.01.2019 OVB online
Die Höslwanger Bürger wollen nicht, dass auf dem Areal im Dorfzentrum, das derzeit unter anderem einen großen Spielplatz beherbergt, ein kommunales Wohnbauprojekt realisiert wird. Mit deutlicher Mehrheit haben die Wahlberechtigten beim Bürgerentscheid am Sonntag, 20. Januar 2019, dafür gestimmt, die Planungen des Gemeinderats zu stoppen.

 

04.12.2018 Badische Zeitung: Horbener wollen ihre Verwaltung behalten
Der Bürgerentscheid war nach einem im August eingereichten Bürgerbegehren angesetzt worden. Es wandte sich gegen eine einstimmige Entscheidung des Gemeinderats, der im April in nicht öffentlicher Sitzung beschlossen hatte, die Verwaltungsaufgaben in Merzhausen erledigen zu lassen.

29.10.2018 Südkurier zum erfolgreichen Bürgerentscheid zur Rettung des Waldshuter Freibads

21.10.2018 Rottenburg: Gegen das geplante Gewerbegebiet “Galgenfeld”

18.03.2018 Vaihingen (Enz): Gegen die Änderung des Bebauungsplans Köpfwiesen

18.03.2018 Langenargen, SWR aktuell: Bürgerentscheid in Langenargen Mehrheit entscheidet sich gegen Baugebiet

18.02.2018 Stutensee: Für den Erhalt des Lachwaldes (ein ca. 13 ha großer Mischwald)

18.09.2016 Endingen: Gegen die Erweiterung von Gewerbeflächen

14.07.2016 Emmendingen: Die Bürger*innen stimmen bei hoher Wahlbeteiligung mit eindeutiger Drei-Viertel-Mehrheit für den Erhalt von Haselwald-Spitzmatten und gegen das Baugebiet.

 

Erlangen
Sehr erfolgreich und ermutigend war jüngst das Verfahren um eine fast 200 ha große Baugebietsplanung in Erlangen. Im Bürgerentscheid am 14. Oktober 2018 hat sich die Mehrheit der Erlanger Bürger*innen mit über 54 % gegen die weitere Fortführung einer städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme („SEM Erlangen-West III“) ausgesprochen und damit das Vorhaben zunächst gestoppt. Auf den dortigen überdurchschnittlich guten Ackerböden sah die Planung der Stadtverwaltung eine Neuansiedlung von rund 10.000 Einwohnern vor.

29.10.2018 Bayrisches Landwirtschaftliches Wochenblatt: SEM Erlangen – Bauern und Bürger kippen großes Bauprojekt

 

 

Bürgerbegehrensbericht 2018

Im Jahr 2017 wurden in Deutschland 278 direktdemokratische Verfahren auf kommunaler Ebene initiiert. Zu diesem Ergebnis kommt der aktuelle Bürgerbegehrensbericht, den der Verein Mehr Demokratie Anfang Dezember 2018 veröffentlicht hat. Der vorliegende Bericht wertet die Häufigkeit, die Gegenstände und die Ergebnisse von Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden in allen Bundesländern aus. Demnach hat es seit 1956 insgesamt 7.503 Bürgerbegehren in den Kommunen gegeben. Die Hälfte aller Verfahren konzentriert sich auf zwei Bundesländer: 40 Prozent aller Verfahren (2.910) wurden in Bayern und etwa zwölf Prozent (891) in Baden-Württemberg ausgelöst … Ein eigenes Kapitel widmet sich erstmals der Thematik von Bürgerbegehren zu umweltfreundlicher Verkehrspolitik, deren Anzahl in letzter Zeit angestiegen ist …

Erfolgsaussichten
Indirekte Erfolge von Bürgerbegehren und -entscheiden – zum Beispiel auf die Beeinflussung der politischen Agenda, die Berichterstattung in den Medien oder auf die Anzahl und Qualität von politischen Diskussionen – sind nur schwer zu messen und zu quantifizieren. Eine „direkte Erfolgsquote“ allerdings ist mit unseren vorhandenen Daten mess- und darstellbar. Ein „direkter Erfolg“ bedeutet, dass politisch im Sinne der Vorlage/im Sinne der Initiator/innen  entschieden wurde … „Erfolgreich“ umfasst die Ergebnisse „positiv erledigt durch einen neuen Gemeinderatsbeschluss“, „Erfolg im Bürgerentscheid“ und „Erfolg im  Stichentscheid“. Als halber Erfolg wurde das Ergebnis „Teilerfolg/Kompromiss“ gewertet.
Daraus ergibt sich: Die formale Erfolgsquote liegt bei 38,8 Prozent (2.874 von 7.413 abgeschlossenen Verfahren bundesweit), etwa vier von zehn eingeleiteten Verfahren waren erfolgreich im Sinne der Initiatoren. Diese formale Erfolgsquote bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass alle in ihr erfassten Verfahren tatsächlich im Sinne der Vorlage enden. Zum Beispiel kam es vereinzelt dazu, dass Bürgerentscheide nicht umgesetzt wurden.

Der Bericht im Wortlaut (40 S.)